Vollstreckung chinesischer Urteile in Deutschland – Neue Chancen für Unternehmen
zusammengestellt von: Luther – Mitglied im CHKD Beraternetzwerk
Bis heute gelten chinesische Urteile in Deutschland für nicht vollstreckbar. Eine unbefriedigende Situation für viele Titelgläubiger in China: Denn es gibt viele vermögende Unternehmer aus China, die sich mit ihrem Vermögen nach Europa abgesetzt haben und dadurch einer Vollstreckung bislang entgehen konnten. Die neuesten Entwicklungen in China werfen jedoch ein vielversprechendes Licht auf eine mögliche Veränderung dieser Dynamik. Aber wie kann eine Vollstreckung chinesischer Urteile in Deutschland gelingen?
- Ausgangspunkt der Vollstreckung: Maßstab des § 328 ZPO
Zwischen China und Deutschland besteht bisher kein multi- oder bilaterales Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen. Will man eine zivil- rechtliche Entscheidung chinesischer Gerichte in Deutschland anerkennen und vollstrecken lassen, so gelten daher die Grundregeln der ZPO. Für die Vollstreckung ist dabei ein gesondertes deutsches Vollstreckungsurteil notwendig (sog. „Exequatur“). In diesem wird das ausländische Urteil für im Inland für vollstreckbar erklärt.
Eine ausländische Entscheidung darf dabei nur vollstreckt werden, wenn keine Versagungsgründe für dessen Anerkennung aus § 328 ZPO vorliegen, d.h. wenn die Gerichte des Ursprungsstaates international zuständig waren (Nr. 1), wenn das rechtliche Gehör des Beklagten bei der Verfahrenseinleitung gewahrt wurde (Nr. 2), wenn keine vorrangige entgegenstehende Entscheidung existiert (Nr. 3 Alt. 1), wenn in Deutschland nicht früher ein Verfahren in gleicher Sache rechtshängig war (Nr. 3 Alt. 2), wenn die Vollstreckung mit dem deutschen ordre public in Einklang steht (Nr. 4), und wenn im Verhältnis zum Ursprungsstaat die Gegenseitigkeit verbürgt ist (Nr. 5).
Gerade diese Verbürgung der Gegenseitigkeit stellte bislang den Dreh- und Angelpunkt der Problematik zur Vollstreckung von Gerichtsurteilen zwischen Deutschland und China dar. Noch im Jahr 2021 hat das LG Saarbrücken die Anerkennung und Vollstreckung eines chinesischen Zivilurteils mit Blick auf die vermeintlich fehlende Verbürgung der Gegenseitigkeit zuletzt abgelehnt. Doch ist diese Entscheidung richtig, und dürfte diese Rechtsprechung in Deutschland auch nach der aktuellen Sach- und Rechtslage im Jahr 2025 aufrecht erhalten bleiben?
Maßstab der deutschen Gerichte für die Frage, ob chinesische Urteile in Deutschland anerkannt und vollstreckt werden können, sind die bislang ergangenen chinesischen Entscheidungen. Eine chinesische Entscheidung wird in Deutschland nur dann anerkannt, wenn umgekehrt auch eine entsprechen- de deutsche Entscheidung unter vergleichbaren Voraussetzungen in China anerkannt werden würde. Entscheidend ist dabei nach deutschem Rechtsverständnis nicht so sehr die abstrakte Rechtslage, sondern primär die tatsächliche Anerkennungspraxis im jeweils anderen Staat, hier also China (die sogenannte „tatsächliche Reziprozität“). Es müssen daher die aktuellen, tatsächlichen Entwicklungen in China in den Blick genommen werden, um zu beurteilen, ob sich zwischenzeit- lich auch in Deutschland für eine Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit chinesischer Zivilurteile argumentieren lässt.
2. Entwicklungen in China
Noch Mitte der 90er bis Anfang der 2000er Jahre folgten die chinesischen Gerichte einer strikten Auslegung des Begriffs der tatsächlichen Reziprozität und lehnten die Anerkennung ausländischer Entscheidungen bereits dann ab, wenn ein Präzedenzfall fehlte, bei dem ausländische Gerichte ein chinesisches Urteil vollstreckt hätten. Beispielsweise hat auch das Beijing Second Intermediate People’s Court die Anerkennung und Vollstreckung eines deutschen Urteils mangels Reziprozität im Jahr 2003 abgelehnt.
Etwa ab dem Jahr 2013 begannen chinesische Gerichte von dieser strikten Interpretation der Gegenseitigkeit abzuweichen und flexiblere Ansätze zu verfolgen. Seit 2013 sind insgesamt drei positive Entscheidungen ergangen, in denen deutsche Entscheidungen anerkannt wurden. So hat das mittlere Volksgericht in Wuhan im Jahr 2013 einen Insolvenzeröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Montabaur anerkannt und sich dabei auf eine positive Entscheidung des Kammergerichts aus dem Jahr 2006 gestützt, in der ein chinesisches Urteil anerkannt wurde.
Im Jahr 2015 entschied ein weiteres chinesisches Gericht in Dalian zugunsten der Anerkennung der Wirkung einer Vergleichsvereinbarung, die während eines Rechtsstreits vor einem deutschen Gericht geschlossen wurde.
Darüber hinaus hat sich das oberste Volksgericht in China in den Jahren 2015 und 2019 positiv zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsentscheidungen geäußert.
Zwar kam es sogar hiernach noch zu der Entscheidung des LG Saarbrücken aus dem Jahr 2021, das die Anerkennung und Vollstreckung eines chinesischen Urteils mangels Verbürgung der Gegenseitigkeit abgelehnt hat. Bereits diese Entscheidung des LG Saarbrücken dürfte jedoch aufgrund einer zu strengen Auslegung der erforderlichen Gegenseitigkeit zu kritisieren sein. Denn grundsätzlich müssen deutsche Gerichte sogar dann von einer Gegenseitigkeit ausgehen, wenn noch keine einzige Entscheidung aus dem betreffenden Ausland existiert, um eine „Patt-Situation“ zu vermeiden. Das LG Saarbrücken ließ aber noch nicht einmal die Existenz einer bereits ergangenen, positiven Entscheidung aus China genügen, da diese vermeintlich ein Einzelfall war. Nach den Entscheidungsgründen zu urteilen, dürfte es zudem auch von anwaltlicher Seite unterlassen worden sein, sowohl auf das erforderliche weitere Auslegungsverständnis als auch auf die bisherige Rechtspraxis in China hinzuweisen, die bereits mehr als nur eine Entscheidung umfasste.
In jedem Falle dürften aufgrund der aktuellen Entwicklungen folgende Argumente für eine Anerkennung und Vollstreckung sprechen:
Im Jahr 2022 organisierte das Oberste Volksgericht in China eine wegweisende Konferenz über handels- und seerechtliche Verfahren mit internationalem Bezug. Dort hat das Oberste Volksgericht schließlich eine offizielle Interpretation des Begriffs Reziprozität erlassen und erklärt, dass künftig der Grundsatz der „de-jure Reziprozität“ anstelle der strikten „tatsächlichen Reziprozität“ gelten soll, d.h. eine Gegenseitigkeit bereits dann angenommen werden soll, wenn die Gesetze der ausländischen Gerichtsbarkeit chinesische Urteile nicht ausdrücklich ausschließen, oder wenn es einen diplomatischen oder zwischenstaatlichen Konsens gibt, der den gegenseitigen Respekt für die Urteile des jeweils anderen widerspiegelt. Noch im selben Jahr hat der Shanghai Maritime Court erstmals auf dieser Grundlage einen ausländischer Zahlungstitel anerkannt, dort in Bezug auf ein englisches Urteil.
Im Januar 2023 entschied der Erste Mittlere Volksgerichtshof von Peking nun auch, eine Insolvenzentscheidung des Amtsgerichts Aachen anzuerkennen, das einen Insolvenzverwalter bestellt hatte. In diesem Fall wandte das chinesische Gericht bei der Anerkennung des deutschen Urteils den Rechtsgrundsatz der „de-jure-Reziprozität“ an. Diese Entscheidung ist zwar nicht unmittelbar auf Zahlungstitel anwendbar.
Dennoch lassen sich vor diesem Hintergrund zahlreiche, überzeugende Argumente für eine Vollstreckbarkeit finden, wenn man die deutsche Rechtspraxis vor Gerichten in grenz- überschreitenden Zivilprozessen versteht.
3. Verfahren
Will man nun in der Praxis ein chinesisches Urteil in Deutschland anerkennen und vollstrecken lassen, so müsste gemäß § 722 ZPO eine Gestaltungsklage beim zuständigen Landgericht eingereicht werden. Die Verfahrenseinleitung ist dabei nicht fristgebunden und kann daher auch für länger zurückliegende Titel aus China angestrengt werden, solange diese in China rechtskräftig und noch vollstreckbar sind. Das betreffende Verfahren stellt ein reguläres Erkenntnisverfahren dar, sodass wegen des vor dem LG bestehenden Anwaltszwangs ein in Deutschland zugelassener Anwalt hinzuziehen ist. Die Hinzuziehung eines besonders fachkundigen Anwalts ist dabei allein schon deshalb angezeigt, da die Beweislast für die Verbürgung der Gegenseitigkeit bei der Klägerseite liegt. Fehlentscheidungen, wie die des LG Saarbrücken, sollten vermieden werden. Auch drohen zahlreiche weitere, ungeschriebene Fallstricke, die zu einer fehlenden Vollstreckbarkeit führen können, wenn es an einer fachkundigen Unterstützung durch deutsche Anwälte fehlt. Idealerweise sollten diese schon bei Erstreiten des Titels in China hinzugezogen werden.
4. Fazit
Es gibt inzwischen gute Argumente dafür, dass chinesische Urteile in Deutschland anerkannt und vollstreckt werden können. Als Experten für grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung haben wir Strategien entwickelt, um Unternehmen bei der Durchsetzung ihrer chinesischen Titel in Deutschland zu unterstützen.
Sollten Sie einen Titel zur Vollstreckung in Deutschland haben, würden wir uns freuen, mehr über die spezifischen Herausforderungen Ihres Falles zu erfahren und Ihnen bei Interesse ein individuelles Angebot zu unterbreiten.
Autorinnen
Katharina Klenk-Wernitzki(凯琳)
Iman Bayrouti
Dr. SHEN Yuan 沈媛博士